Projekt: Das Kollbecksmoor-Huhn im Ertragstest

900 Kollbecksmoor-Küken unter der Lupe

Ist das Kollbecksmoor-Huhn ein gutes Zweinutzungshuhn? Vielleicht sogar besser – das heißt lege-freudiger und ertragreicher – als das ÖTZ-Huhn? Die Erfahrungen von Hühnerzüchtern sprechen dafür. Doch für eine verlässliche Aussage gibt es noch zu wenig Forschung. Bioland-Bauer Christian Vieth vom Stahl’s Hof im nordhessischen Alheim macht mit Unterstützung der Fair-Bio eG den Feldversuch: was leisten die Hennen, was leisten die Hähne? Die Genossenschaft  lässt ihre Community an den Ergebnissen teilhaben: im „Kollbecksmoor-Huhn-Blog“.

Ziel des Projekts: Wer Ei sagt, muss auch Hahn sagen - und dafür bezahlen!

Schluss mit dem Kükenschreddern, Schluss mit hochgezüchteten und industriell gequälten Legerassen: Tierschützer und Ökologen fordern schon lange ein radikales Umdenken in der gewerblichen Hühnerhaltung. Ein Ausweg könnte das sogenannte Zweinutzungshuhn sein: Legehennen und Masthähnchen stammen aus einer Rasse, werden beide ausgebrütet und aufgezogen.

Engagierte Bio-Käuferinnen und -Käufer achten beim Eier- und Geflügelkauf auf die Haltungsbedingungen der Tiere und sind bereit, für Eier und Geflügelfleisch aus guter Haltung mehr Geld auszugeben. Denn wenn die Tiere nicht ausschließlich auf Ertrag gezüchtet und gehalten werden, ist der Preis für Eier und Hühnerfleisch höher als im Supermarkt, ist ja klar. Auch klar ist, dass die Öko-Landwirte, die Eier und Hähnchen aus guter Haltung anbieten, davon leben müssen. Ein Zweinutzungshuhn muss wirtschaftlich funktionieren.

Gesucht werden also Hühnerrassen (beziehungsweise Kreuzungen aus Hühnerrassen), bei denen jedes Geschlecht sowohl tierfreundlich als auch wirtschaftlich gehalten werden kann: Die Hennen sollten so viele (und so lange) Eier legen, dass die Erzeuger sie zu einem bezahlbaren Preis verkaufen können; die Hähne sollten so viel Fleisch ansetzen, dass sie zu guten Masthähnchen werden. Ein Zweinutzungshähnchen wächst langsamer setzt und weniger Fleisch an, was sich aber positiv auf den Geschmack auswirkt: Eine Tatsache, die an der Ladentheke den Kund*innen vermittelt werden muss.

Mit dem ÖTZ-Huhn, dem Zweinutzungshuhn der Ökologischen Tierzucht gGmbH, sind Öko-Landwirte schon auf einem guten Weg. Aber noch immer sind Eier und Masthähnchen so teuer, dass nur wenige Menschen bereit sind, die Preise zu zahlen. Deshalb lohnt es sich, weiter zu forschen

 

 

Exkurs: Das ÖTZ-Huhn

Bio-Stammkunden sind mit der Materie meist vertraut und können diesen Abschnitt überspringen. Für alle anderen oder zur Auffrischung:

Die Ökologische Tierzucht (ÖTZ) gGmbH züchtet seit 2015 erfolgreich Linien, die von den Hühnerrassen Bresse Gauloises, White Rock und New Hampshire stammen. Diese Zweinutzungstiere werden speziell für die Ansprüche von Ökobetrieben gezüchtet. Die Zuchttiere werden zu 100 Prozent mit ökologischem Futter gefüttert. Außerdem werden sie in einer Herde und nicht  ̶  wie in der konventionellen Zucht üblich  ̶  in Einzelkäfigen gehalten. Die Tiere werden nur gemischtgeschlechtlich abgegeben, für jede Henne muss auch ein Hahn großgezogen werden.

Die Erträge aus dem Zweinutzungshuhn sind für die Ökolandwirte leider nicht zufriedenstellend: Der Absatz der Eier – insbesondere über Wiederverkäufer – ist nur sehr schwer realisierbar. An den Hähnchen ist so gut wie niemand interessiert. Die Haltungsbedingungen passen, aber die Menschen sind leider nicht bereit, die entsprechend höheren Preise zu zahlen. Hier kommt das Kollbecksmoor-Huhn ins Spiel.

Exkurs: Das Kollbecksmoor-Huhn

Das Kollbecksmoor-Huhn wird von der Initiative zur Erhaltung alter Geflügelrassen e.V. als möglicherweise gute Zweinutzungsrasse genannt. Liefert es im Ökolandbau auch wirtschaftlich gute Ergebnisse? Das zu untersuchen, dafür investieren die Genossenschaft und ein Ökolandwirt Zeit und Geld.

Kollbecksmoor-Hühner sind streng genommen keine Hühnerrasse, sondern eine sogenannte Gebrauchskreuzung. Sie stammen aus der Kreuzung von White-Rock-Hennen mit Vorwerkhähnen. Die entstehenden Kollbecksmoor-Hennen sind goldbraun, zum Teil mit hellem Halsbehang, die Hähne weiß / silberfarben. Verpaart man die Kollbecksmoor-Hühner untereinander, erhält man Küken mit verschiedenen Farben und ungewisser Legeleistung. Daher müssen die Küken immer wieder aus den Eiern der genannten Elterntiere herangezogen werden.

Sowohl Hobbyzüchter als auch die Initiative zur Erhaltung alter Geflügelrassen e.V. haben die Erfahrung gemacht, dass die Kollbecksmoor-Hennen mehr und größere Eier legen als die ÖTZ-Hennen und dass sich die Kollbecksmoor-Hähne besser und schneller mästen lassen.

Aus der bäuerlichen Praxis gibt es noch zu wenig empirische Werte, das ist der Grund dafür, dass die Fair-Bio eG den Feldversuch unterstützt.

Wie ertragreich sind Kollbecksmoor-Hennen und -Hähne?

Christian Vieth vom Stahl’s Hof im nordhessischen Alheim macht mit Unterstützung der Fair-Bio eG den Versuch: 900 Bruteier von Kollbecksmoor-Hühnern hat er aus ganz Deutschland zusammengetragen und hat sie ausbrüten lassen, um dann zu sehen: was leisten die Hennen, was leisten die Hähne? Wie lange dauert es, bis beide Geschlechter – die Legehennen und die Masthähnchen – nach dem Schlupf „erwachsen“ sind? Wie und was fressen sie bis dahin? Wie hoch wird anschließend die Legeleistung der Hennen sein, und wie lange legt ein Tier im Durchschnitt wieviel Eier? Wie schnell erreichen die Hähnchen das Schlachtgewicht? Wie genau sind die Haltungsbedingungen für Hähne und Hennen? Was fressen die Tiere, wie verhalten sie sich?

Projektstart war im September 2021. Christian Vieth begann, von überall in Deutschland die passenden Eier zusammenzusuchen und einzusammeln. Im ersten Schwung kamen nur knapp 600 Eier zusammen. Kurz stockte das Projekt: findet sich die fehlende Anzahl Eier rechtzeitig? Denn die Küken sollen zusammen aufwachsen. Wenn ein Teil von ihnen zu klein ist, wird es sich möglicherweise gegen die älteren und stärkeren Geschwister nicht durchsetzen können.

Die 900 Eier sind zum Glück im Brutschrank zusammengekommen, die Küken sind am 1.11. und eine zweite Kohorte am 18.11 geschlüpft. Insgesamt wachsen jetzt etwa 500 Tiere heran. Die Schlupfrate lag leider nur bei suboptimalen 55 Prozent. Wie der Versuch fortschreitet und welche Ergebnisse er zeigt, das können alle Interessierten verfolgen: im Fair-Bio Kollbecksmoor-Huhn-Blog.

Projektdaten

Projektstart: Sept. 2021

Projektsumme: 8.500 Euro

Voraussichtliche Schlupf: November 2021

Voraussichtliches Ergebnis: April 2022

Dokumentation für Fair-Bio: HIER IM BLOG

Fair-Bio KOLLBERGSMOOR-HUHN-BLOG

September 2021

Christian Vieth sammelt aus dem gesamten Bundesgebiet Eier der Gebrauchskreuzung  Kollbecksmoor-Huhn (Details siehe oben  „Hintergrund: das Kollbecksmoor-Huhn“). Eierlieferanten sind zum größten Teil Hobbyzüchter. Trotz vieler E-Mails, Telefonate und Anzeigen kommen im ersten Schritt nur 584 Eier zusammen.

Oktober 2021

Weitere 316 Eier kommen noch zusammen. Das Alter der beiden Kohorten liegt zum Glück noch so eng zusammen, dass sie zusammen ausgebrütet werden können, ohne dass die älteren Küken die jüngeren gefährden. Die 900 Eier kommen in den Brutschrank. 20 bis 21 Tage dauert es, bis die Küken schlüpfen.

November 2021

Am 1. November ist die erste Kohorte geschlüpft, am 18. November die zweite. Insgesamt wachsen jetzt etwa 500 Tiere heran. Die Schlupfrate lag leider nur bei suboptimalen 55 Prozent.

Dezember 2021

Die Küken sind mittlerweile aus dem Gröbsten raus und regulieren jetzt ihre Körpertemperatur von selbst. In den ersten 5 bis 6 Wochen ist es nämlich schön heimelig im Aufzuchtstall. Es beginnt mit einer Temperatur von 35 Grad und jede Woche wird dann die Heizung ein wenig runter reguliert. Da müssen Bäuerin und Bauer bei der Versorgung der Tiere aufpassen, dass sie sich beim Wechsel zwischen kalt und warm keine Erkältung einfangen. Leider ist die Aufzucht im Winter aus energetischen Gründen nicht optimal, der Gasverbrauch entsprechend hoch. Die momentan horrenden Energiepreise tun ihr übriges.

Die Betreuung der Herde besteht nun im Wesentlichen darin, jeden Tag nach Futter und Wasser zu schauen, den Gesundheitszustand der Tiere im Blick zu behalten und ggf. kranke oder schwache Tiere aufzupäppeln. Bisher hatten die Bauern großes Glück, nur zwei Küken haben es leider nicht geschafft, alle anderen sind gesund und munter.

Die Tiere erhalten auch regelmäßig verschiedene Impfungen. Das ist gesetzlich vorgeschrieben, dient der Tiergesundheit, beginnt bereits beim Schlupf und zieht sich durch bis zur 18. Lebenswoche. Danach erhalten sie alle drei Monate verschiedene Auffrischungsimpfungen. Auch das gehört zum Hühnerleben dazu.

Januar 2022

Bis zur zehnten Woche leben die Schwestern und Brüder zusammen im Aufzuchtstall, danach werden sie nach Geschlechtern getrennt. Die Brüder würden sonst anfangen, ihre Schwestern zu dominieren, und es entstünde schlechte Stimmung im Stall. Das will natürlich keiner. Bei so manchen Hühnerrassen ist die Geschlechterbestimmung gar nicht so einfach, man erkennt den Unterschied häufig nur am ausgeprägteren Kamm der Hähne. Die Genetik macht es bei den Kollbecksmoorhühnern leichter: die weiblichen Tiere sind braun, die Hähne weiß. Und so wurden dann in den späten Abendstunden die Hähne von den fleißigen Menschen auf Stahl´s Hof in Kisten gepackt und in ihr neues Heim für die nächsten acht Wochen gebracht: einen Mobilstall auf der grünen Wiese. Dort leben sie sich in den ersten Tagen ein, bevor sie dann zum ersten Mal in den Auslauf dürfen. Hier können sie dann zwischen 10 Uhr und Anbruch der Dunkelheit nach Belieben scharren, Würmer suchen und ihr Federkleid putzen.

Die Junghennen haben im Rahmen des Umzugs ein frisch renoviertes Heim bekommen, es wurde geschaufelt, gefegt und neu eingestreut. Außerdem haben die Hennen nun einen schönen Wintergarten. Dort können sie frische Luft schnappen, Sonne tanken und den Tag genießen. Ein paar Jungs sind ebenfalls noch mit bei den Hennen. Sie werden später aufmerksam darüber wachen, dass Beutegreifer wie der Habicht nur wenig Chancen haben, und auch generell für Ruhe in der Herde sorgen.

Februar 2022

Die Bruderhähne haben sich gut im neuen Heim eingelebt, auch wenn sie die Schwestertiere ein wenig vermissen. Wie bei den Menschen auch, sind die Hähne nun voll in der Pubertät, strotzen vor Kraft und führen schon erste Hahnentänze auf. Die Damen können sie allerdings damit nicht mehr beeindrucken … Die Futteraufnahme bei den Junghähnen geht nun mit etwa 12 Wochen ebenfalls steil nach oben, weshalb auch viele Brüder in der konventionellen Haltung, aber auch Bruderhähne von Legehybriden in der ökologischen Landwirtschaft in diesem Alter schon lange nicht mehr leben. Diese werden zum Teil schon mit 9 Wochen geschlachtet und mitunter entsteht daraus auch das sogenannte „Separatorenfleisch“.

Warum das gemacht wird? Weil es die wirtschaftlichste und einfachste Lösung direkt nach dem Kükentöten ist. In Deutschland ist die Herstellung von Separatorenfleisch verboten, viele Brüder landen aber nach dem Schlupf in Österreich oder Ungarn und werden dort über einen kürzeren Zeitraum gemästet und dann dort entsprechend „verarbeitet“ und dann zurück nach Deutschland überführt und beispielsweise zu Wurstwaren verarbeitet. Eine Thematik, die vielen Menschen nicht bekannt ist. Deswegen ist es umso wichtiger, auf Zweinutzungsrassen in der Geflügelhaltung umzusteigen und dann das wertvolle Fleisch der Brüder auch als solches zu nutzen und wertzuschätzen, so wie jetzt bei den Kollbecksmoorhühnern, die erst mit 18 Wochen geschlachtet werden.

Dass dieser Mehraufwand auch seinen Preis hat, ist klar, immerhin erhalten die Tiere mehr als doppelt so viel Futter und Zuwendung. Verbraucher*innen können mit ihrem Konsumverhalten dazu beitragen, dass die Haltung von Zweinutzungstieren sich trägt: wer Ei sagt, muss auch Hahn sagen.

Auch die Junghennen gedeihen prächtig und wir können beobachten, wie gut es ihnen tut, nun nicht mehr von ihren Brüdern dominiert zu werden. Im aktuellen Versuch haben wir festgestellt, dass insbesondere die jüngeren Hennen sehr von den älteren Herren „gemobbt“ wurden, davon ist nun nichts mehr zu merken und die Stimmung im Stall ist entsprechend gut.

(Foto: Hütehund Juri beim Bewachen der Hähne)

 

März 2022

Für die Bruderhähne beginnt nun die Zeit des Abschiedsnehmens. Die älteren Tiere sind fast 18 Wochen alt und damit schlachtreif. Sie wiegen jetzt zwischen 2,3 und 2,6 Kilo. Es gibt jetzt auch immer mehr „engagierte Rangeleien“ untereinander. Deswegen ist es wichtig, dass die Hähne ausreichend Platz haben. So können sie sich im Zweifel aus dem Weg gehen und ein blutiges Federkleid vermeiden. Apropos blutig: dass die Kollbecksmoorhähne und -hennen Auslauf auf die grüne Wiese haben, ist klar. So ist es für alle Ökobauern Vorschrift. Draußen lauern aber auch Gefahren: die Familie Fuchs und die Familie Habicht. Die lieben nämlich auch einen Leckerbissen. Trotz etlicher Schutzmaßnahmen gelingt es ihnen immer wieder, einen Hahn oder eine Henne zu erbeuten. Der Habicht ist meist genügsam und belässt es bei einem Tier. Doch kommt der Fuchs vorbei, wird es meistens schlimm. Er tötet dann mehr, als er fressen kann, und macht sich davon. Aber so ist es nun mal in der Natur …

Für die Bauersleute, aber auch die Fair-Bio Genossenschaft und Naturkost Elkershausen beginnt nun der spannende Teil des Ertragstestes. Finden sich genug Menschen, die einen ganzen Hahn kaufen möchten? Oder wird es wieder – wie so oft – ein zähes Geschäft, an dessen Ende wirtschaftlich alle mit einem blauen Auge davonkommen?

Parallel zu den Brüdern sind die Hennen nun auch schon auf dem besten Weg zur Legereife. Und: die ersten Eier haben wir auch schon gefunden. Noch klein und leicht, ab nun werden es jeden Tag mehr. Alsbald ziehen dann auch die Junghennen in ihr Quartier im Hühnermobil und werden dann durch gut strukturiertes Legehennenfutter und viel Gras wohlschmeckende Eier legen.

(Foto: das erste Ei!)